Inkontinenz
Wie häufig ist die Harninkontinenz?
Harninkontinenz kommt bei Frauen verbreiteter vor als andere chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Depressionen und Diabetes mellitus.
Gemäß der von der Women's Health Coalition e.Y. (WHC) durchgeführte Studie "Harninkontinenz bei Frauen" leidet hierzulande jede fünfte Frau an Harninkontinenz.
Auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet sind das rund acht Millionen harninkontinenter Frauen.
Die Ergebnisse der WHC-Versorgungsstudie machen deutlich, wie wichtig es ist, Ärzte und Frauen zu informieren und den Dialog zwischen Betroffenen, Medizinern und Physiotherapeuten zu fördern. Hierbei kommt es auf enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Gynäkologen und Urologen an, um den betroffenen Frauen die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen.
"Harninkontinent“ zu sein, ist ein Zustand, den man nicht so einfach hinnehmen sollte!! Inkontinenz ist meistens heilbar!
Die Folgen sind erheblich. Die sozialen Kontakte reduzieren sich, da sich viele aus Sorge vor peinlichen Situationen wie Störungen durch häufigen Toilettengang, Flecken auf der Kleidung oder auf dem Sitzpolster, Geruchsbelästigung u.v.a. nicht mehr zum Sport trauen, nicht mehr ins Theater oder Kino gehen, Besuche bei Freunden vermeiden. Es findet ein langsamer aber stetiger Rückzug in die eigenen vier Wänden statt, um letztlich immer in der Nähe der eigenen Toilette zu sein. Auch die partnerschaftliche Beziehung kann erheblich unter dieser Situation leiden, nicht selten sind depressive Veränderungen die Folge.
Bei Älteren kann es sogar zum Zusammenbruch der häuslichen Versorgung mit der Konsequenz der Unterbringung in einem Pflegeheim kommen.
Wann besteht eine Harninkontinenz?
„Blasen- oder Schließmuskelschwäche“ - unter diesem Namen kennen viele eine erstaunlich weit verbreitete Krankheit. Jede zweite Frau nach den Wechseljahren ist betroffen von unwillkürlichem Verlust von Urin oder Stuhl (Harn-und Stuhlinkontinenz) , vielfach zeigen sich die Symptome aber schon in der Schwangerschaft beziehungsweise nach der Geburt oder beim Sport.
Inkontinenz ist freilich nicht gleich Inkontinenz. Am häufigsten sind zwei Formen der Erkrankung (später mehr dazu):
Die Belastungsinkontinenz äußert sich im unwillkürlichen Urinverlust bei Belastungen wie Husten, Niesen, Lachen, schwerem Heben oder Rennen.
Bei der Dranginkontinenz - oft auch "überaktive Blase" genannt - empfinden die Betroffenen einen überfallartigen Harndrang, der nicht mehr zurückgehalten werden kann. Dies kann sich auch in zu häufigem Wasserlassen am Tag und/oder in der Nacht äußern.
Wie funktioniert eine gesunde Blase?
Bei der kontrollierten Blasenentleerung handelt es sich um ein kompliziertes Zusammenspiel verschiedener Funktionen im menschlichen Körper. Unser Gehirn ist das Steuerzentrum. Hier entscheiden wir, wann und wo wir unsere Blase entleeren. Die Impulse, die der Blase bzw. dem Blasenschließmuskel mitteilen was sie tun sollen, werden vom Gehirn über die Nervenbahnen des Rückenmarks direkt an die Blase bzw. dem Schließmuskel geschickt. So wird die willkürliche Entleerung gesteuert.
Füll-und Speicherphase der Blase
Der Blasenmuskel (die Blase) ist entspannt und kann sich ausdehnen. Der Urin wird gesammelt. Der Schließmuskel ist geschlossen und hält so den Urin in der Blase.
Entleerungsphase der Blase
Der Schließmuskel entspannt sich und der Blasenmuskel zieht sich zusammen. Der Urin fließt über die Harnröhre ab. Nach der vollständigen Entleerung der Blase beginnt wieder die Füll- und Speicherphase.
Kleine Rezeptoren auf der Innenseite des Blasenmuskels senden Impulse über das Rückenmark und teilen so dem Gehirn den "Füllstand" mit. Sollte es also zu "Kommunikationsproblemen" zwischen Gehirn, Blase und Schließmuskel kommen, funktioniert das Zusammenspiel nicht mehr und es kommt zu Harninkontinenz bzw. Blasenschwäche oder Blasenentleerungsstörungen. Aber auch Krankheiten wie eine Querschnittverletzung, Spina bifida, MS oder Diabetes können zu einer Inkontinenz führen.
Welche Formen der Harninkontinenz gibt es?
Belastungsharninkontinenz
Gründe für die Entstehung der Belastungsharninkontinenz können sein:
- Beckenbodeninstabilität
- Übergewicht
- Schwangerschaft
- Klimakterium
- Bestrahlung im Beckenbereich
- Geburten insbes. Vaginalgeburt
- Senkung von Scheide und Gebärmutter etc.
- chronischer Husten
- körperliche Fehlbelastungen (z.B. beim Krafttraining)
Es werden drei Grade der Belastungsinkontinenz unterschieden:
- Grad I: Harnabgang nur beim Husten, Lachen, Niesen oder Pressen
- Grad II: Harnabgang bei Bewegung oder beim Aufstehen und Hinsetzen
- Grad III: Harnabgang während des Liegens
Typisch ist der tröpfchenweise Urinverlust aufgrund einer körperlichen Belastung. Es kann aber auch zu einer kompletten Blasenentleerung kommen.
Der Harnabgang erfolgt unwillkürlich bei körperlicher Belastung wie Husten, Niesen, Lachen oder Heben.
Therapie: Einlagen, Vorlagen, Medikamententherapie
Überaktive Blase („Dranginkontinenz“)
Das Krankheitsbild „ überaktive Blase“ (ÜAB, gleichbedeutend mit „overactive bladder“, OAB) beinhaltet die Symptome Pollakisurie, imperativer Harndrang und Nykturie mit oder ohne Inkontinenz.
Pollakisurie bedeutet >8 Blasenentleerungen pro 24 Stunden bei normaler Harnmenge (bis 2,8 l/24 h).
Imperativer Harndrang heisst plötzlicher, ohne Vorwarnung einsetzender Harndrang, der mit der Gefahr des Harnverlustes einhergeht.
Nykturie wird definiert als Gewecktwerden durch Harndrang und Blasenentleerung in der Nacht.
Dranginkontinenz ist der unfreiwillige Harnverlust in Zusammenhang mit imperativem Harndrang .
Überlaufinkontinenz
Tröpfchenweise Urinverlust aufgrund einer überfüllten Blase. Meist andauernd.
Die Blase füllt sich. Obwohl ein hoher Drang verspürt wird, kann die Betroffene die Blase nicht leeren . Der Druck wird so groß, dass der Urin "überläuft", der Schließmuskel nachgibt und es kommt zum Dauer -"tröpfeln". Meist kann die Blase nicht komplett geleert werden. Durch den Restharn kommt es zu einer erhöhten Keimbildung und zu Harnwegsinfektionen.
Folgende Ursachen sind möglich:
- Verengungen des Blasenausgangs,
- Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder
- Nebenwirkungen von Medikamenten.
Therapie: Einmalkatheterisierung , Medikamententherapie
Reflexinkontinenz
Eine Reflexinkontinenz ist eine unwillkürliche Kontraktion des Schliessmuskels und damit nicht beeinflussbar. Ein Harndrang besteht nicht. Diese Erkrankung tritt überwiegend bei Patienten mit Querschnittslaehmung auf. Es liegt eine Schädigung der Rückkopplung zwischen Gehirn und Blasenzentrum im Rückenmark vor. Die zentrale Kontrollfunktion ist damit verloren gegangen, sodass es zur Enthemmung und völlig unwillkürlichen Impulsen kommt.
Extraurethrale Inkontinenz
Bei der extraurethralen Inkontinenz kommt es zu einem Harnabgang aus Oeffnungen, die den normalen Weg des Harntraktes umgehen (z. B. Fehlmündung des Harnleiters, Fehlanlage der Harnröhre etc.)
Welche Diagnostik ist erforderlich?
Hierbei kommt es auf enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und Urologen und Hausärzten an, um den betroffenen Frauen die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen.
Basisdiagnostik
Die Basisdiagnostik besteht aus der gezielten Befragung nach:
- Beginn/Dauer und Schweregrad der Symptome,
- Häufigkeit des Wasserlassens,
- imperativem ( unwillkürlichem )Harndrang,
- Trinkmenge,
- Harnmenge,
- Blut im Urin,
- Harnverlust,
- Urogenitalinfektionen,
- Senkungsbeschwerden,
- neurologischen und endokrinologischen Grunderkrankungen,
- Verletzungen, Operationen,
- Grösse, Gewicht,
- Medikamenteneinnahme,
- Funktion des Magen-Darmtraktes
- Geburten
- Menstruations- und Sexualverhalten
Strukturierte Fragebögen (in der Praxis erhältlich) können hilfreich sein.
Das Miktionstagebuch stellt die einzige Möglichkeit dar, die Häufigkeit des Wasserlassens und die Urinmenge objektiv zu erfassen. Zusätzlich können der Schweregrad des imperativen Harndrangs, der Leidensdruck, die Anzahl der Inkontinenzepisoden, der Vorlagenverbrauch und die Trinkmenge dokumentiert werden.
Die körperliche Untersuchung umfasst eine vaginale Spekulum- und vaginale/rektale Tastuntersuchung. Des Weitern ist eine Urinanalyse zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes erforderlich. Mittels Ultraschall wird die Restharnbestimmung durchgeführt.
Weiterführende Diagnostik
Eine spezialisierte Diagnostik wird bei widersprüchlichen Befunden in der Basisdiagnostik und nach Scheitern einer konservativen Therapie bzw. vor geplanten Inkontinenzoperationen notwendig.
Eine weiterführende Diagnostik erfordert die Sonographie des Urogenitaltrakts und die Miktionszystourethrographie (MCU). Zum Ausschluss einer Harnstauung bei Nierensteinen wird die Nierensonographie empfohlen. Des Weiteren müssen Blasendivertikel, Blasentumoren und Fremdkörper in der Blase durch eine urologische Untersuchung ausgeschlossen werden.
Ein weiteres wichtiges Element der Diagnostik ist die Urodynamische Untersuchung, die Erläuterung der dabei durchgeführten Untersuchungen würde jedoch den Rahmen dieser Informationsvermittlung sprengen.
Welche Therapie ist möglich bei der Belastungsinkontinenz?
Gewichtsreduktion
Übergewicht ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine Belastungsinkontinenz Eine Gewichtsreduktion um 5–10% bei moderat übergewichtigen Frauen bewirkt eine Verminderung der Inkontinenzepisoden um 60%.
Physiotherapie
Ein Beckenbodentraining, das z. B. mit der Unterstützung durch Elektrostimulation oder Biofeedbackgeräte erfolgen kann, spielt eine zentrale Rolle in der Therapie der Belastungsinkontinenz. Die Heilungs- bzw. Besserungsrate wird in der Literatur mit 50–70% angegeben.
Medikamentöse Therapie
Duloxetin ist der einzige Wirkstoff, der zur Behandlung der Belastungsinkontinenz in Deutschland zugelassen ist. In Studien profitierten ca. 50% der Behandelten von diesem Medikament. Beckenbodentraining hat hier einen zusätzlichen Effekt. Mögliche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schlaflosigkeit und Schwindel schränken den Einsatz von Duloxetin im klinischen Alltag allerdings ein.
Hilfsmittel
Zusätzlich finden in der Therapie der Belastungsinkontinenz Hilfsmittel wie Urethrapessare nach Arabin oder Inkontinenztampons zur Stützung des Blasenhalses bei Belastung Verwendung.
Diese werden von der Patientin selbst zusammen mit östrogenhaltiger Salbe in die Scheide eingelegt und wieder herausgenommen. Die Anleitung dazu erfolgt anlässlich einer gynäkologischen Untersuchung in der Praxis. Gerade für junge Frauen, die ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen haben und deshalb keinen operativen Eingriff wünschen, ist dies eine Möglichkeit, z. B. beim Sport die Inkontinenz zu verhindern.
Operative Therapie
Die häufigsten operativen Verfahren sind die Kolposuspension und die Einlage spannungsfreier Vaginalschlingen (TVT.) Die objektive Heilungsrate (negativer Stress- und Vorlagentest) nach elf Jahren ist mit 90% sehr hoch Mögliche Komplikationen sind u. a. Blasenverletzung, fortbestehende Blasenentleerungsstörung, Blutung/Hämatom und Nervenläsionen.
Welche Therapie ist möglich bei der überaktiven Blase?
Das Ziel der Therapie besteht in der Vergrößerung des stabilen Speichervolumens, einer Verlängerung der Miktionsintervalle, der Erlangung einer sicheren Kontinenz und eine soziale Reintegration.
Konservative Therapie
An konservativen Maßnahmen kommen ein Trink- und Miktionstraining, ein Beckenbodentraining (gegebenenfalls mit niederfrequenter, vaginaler Elektrostimulation), eine spezifische Pharmakotherapie insbesondere mit Anticholinergika (z. B. Oxybutynin, Propiverin, Tolterodin, Darifenacin, Solifenacin, Trospiumchlorid, Fesoterodin) sowie lokale Östrogene und eine supportive Psychotherapie infrage.
Miktionstraining: Verlängerung von zu kurzen Miktionsintervallen auf Basis des Miktionstagebuchs. Dies geschieht durch Anspannen des Beckenbodens bei Auftreten von Harndrang („bladder drill“) Anpassung des Entleerungsrhythmus an die individuelle Blasenkapazität auf Basis des Miktionstagebuchs, um den unwillkürlichen Harnverlust zuvorzukommen. Die lokale Östrogenisierung ist inzwischen fester Bestandteil in der Therapie . In einer großen Cochrane-Analyse zeigte sich eine subjektive Heilungs- und Verbesserungsrate unter Östrogenen von 57%.
Operative Therapie
In den letzten Jahren wurde bei Versagen der Anticholinergika die Therapie mit Botulinumtoxin A etabliert (off label).
Das extrem potente Nervengift wird mittels Blasenspiegelung verdünnt in den Schließmuskel injiziert, um eine teilweise Lähmung des Muskels zu erreichen. Dadurch wird für bis zu sechs bis neun Monate eine gute Kontinenz erreicht. Als Komplikation kann es zu einer vorübergehenden Blasenentleerungsstörung kommen.